Interview

Von Schwimmnudeln und Lagerkoller

Alex Dicks und Manuel von Gilsa arbeiten in der Behindertenhilfe

Alex Dicks (AD) und Manuel von Gilsa (MvG) arbeiten in der Behindertenhilfe der Diakonie Michaelshoven. Sie erzählen, welche Herausforderungen die aktuelle Corona-Krise mit sich bringt und wie Erwachsene mit kognitiven Einschränkungen diese Zeit erleben. Dabei geht es unter anderem auch darum, wie man die Abstandsregelung praktisch vermittelt und welche kreativen Freizeitangebote in Zeiten von #socialdistancing entstanden sind.

 

Was ist denn in den letzten Wochen und Monaten passiert?

(AD) Am Anfang waren erst mal ganz viele Unsicherheiten bei den Mitarbeitern. Aber natürlich auch bei unseren Betreuten. Man musste erstmal schauen wie gestaltet sich jetzt das Leben, wie stecke ich mich an, was bedeutet dieses Virus überhaupt? Das hat natürlich ganz viele Unsicherheiten hervorgerufen.
Unsere Betreuten wollten Informationen haben, wir haben dann schwierige Informationen in Leichter Sprache übertragen, und haben dafür natürlich auch andere Quellen genutzt, um den Nutzern das zu erklären. Außerdem hat eine Kollegin der „Unterstützten Kommunikation“ Bilder entworfen, um Bewohnern einfach zu erklären und näher zu bringen, was das überhaupt alles bedeutet.

Termine mit einem Klienten im Betreuten Wohnen finden meist in der Wohnung statt.  Das ging ja dann plötzlich nicht mehr.

(MvG) Es war schon sehr schwierig. Am Anfang habe ich versucht alle Termine nach draußen zu verlegen. Und die Wohnungen sind halt sehr klein, da kann man die Abstandsregelungen gar nicht so einhalten. Und ich habe versucht viel telefonisch zu machen und dann nach draußen zu verlegen. Das hat ganz gut funktioniert, aber irgendwann muss man auch mal in die Wohnung rein. Und das hat sich jetzt in den in der letzten Zeit aber eigentlich ganz gut eingespielt. Die Klienten wissen, dass ich mit Mundschutz komme und der Mundschutz auch für deren Sicherheit sorgen soll.

Wie konnten Abstandsregelungen und Sicherheitsvorkehrungen praktisch vermittelt werden?

(AD) Also die Kollegen haben sich da ganz unterschiedliche Sachen einfallen lassen. Ich habe von Kollegen gehört, die haben Schwimmnudeln oder Besenstiele bei den Klienten befestigt und haben damit demonstriert, was überhaupt zwei Meter Abstand bedeuten. Aber wir haben natürlich auch Betreute, die können es nicht einschätzen, was zwei Meter sind. Oder sie können es auch nicht aufgrund ihrer Behinderung. Ich betreue einen Mann, der eine Sozialphobie hat. Wenn er die Wohnung verlässt, hat er Ängste und der braucht diesen Körperkontakt zum Betreuer, um Sicherheit zu haben. Und er läuft mit mir Schulter an Schulter. Also das ist auch Teil unseres Jobs, dass man auch sehr nah an die Leute rangeht. Man kann immer nur wieder vermitteln, dass er das nicht bei anderen Menschen macht, wenn er zum Beispiel im Supermarkt ist.

Gestik und Mimik sind wichtig in der Kommunikation. Wie funktioniert das mit Behelfsmaske?

(MvG) Es ist manchmal sehr schwierig und am Anfang war es wirklich befremdlich. Jetzt haben sich alle dran gewöhnt, dass ich eine Maske anhabe. Und manche haben auch gesagt: Zieh doch die Maske aus, also ohne gefällst Du mir besser. Oder ich kann Dich besser verstehen, was du mir sagen willst. Aber im Moment ist es so, dass ja auch die Maskenpflicht in den Supermärkten und in den öffentlichen Verkehrsmitteln besteht. Also auch in den Verhaltensweisen unserer Nutzer. Auch mit der Abstandsregelung, ich muss ja für mich auch lernen, was sind überhaupt 1,50 Meter bis 2 Meter? Also am Zollstock kann ich mir das zwar gut vorstellen, aber wie man das dann umsetzt, das wird dann interessant.

(AD) Wir Betreuer sind hier auch dafür verantwortlich das im Alltag zu vermitteln. Wie zieht man die Maske an? Wie desinfiziert man die Maske? Wie bewahre ich die Maske auf, wenn ich unterwegs bin und die mal abziehe und später wieder aufsetze? Also da kommen sehr detaillierte Fragen von den Nutzern und Klienten, dass man immer wieder durchspielen muss, damit sie eine Sicherheit bekommen. Das ist gerade auch eine unserer Hauptaufgaben, immer wieder Sachen erklären, zeigen und Sicherheit geben.

Ein anderes ganz großes Thema ist ja Social Distancing, also Kontaktsperre. Die Werkstätten sind noch zu und die Freizeitaktivitäten sind ausgesetzt. Was wird angeboten?

(AD) Erstmal habe wir natürlich alle Gruppenangebote eingestellt. Ganz am Anfang musste man ja erstmal schauen, wie es überhaupt weitergeht. Was Manuel gerade schon sagte, wir halten uns sehr viel mit den Bewohnern und Betreuten draußen auf. Spaziergänge sind auf einmal sehr beliebt, also auch bei Menschen, die sich vorher nicht gern bewegt haben. Die Kollegen in den Wohngruppen leisten ganz viel. Singen, basteln, die machen Spaziergänge, Ausflüge. Ich habe eine Kollegin, die macht mit den Bewohnern Eselspaziergänge. Das ist natürlich ein Highlight für die Leute. Wir haben eine Aktion mit Brieffreundschaften von dem Verein Stift und Papier. Wir testen gerade Online-Gruppenangebote. Das kommt auch ganz gut bei den Nutzern an. Die haben die App installiert und dann machen die Betreuer was vor oder die kochen gemeinsam sozusagen. Die machen Videoabende, Gesellschaftsspiele. Also es findet ganz viel in den Wohngruppen statt.

Spaziergänge sind auf einmal sehr beliebt, also auch bei Menschen, die sich vorher nicht gern bewegt haben. Die Kollegen in den Wohngruppen leisten ganz viel.

Alex Dicks

Im Ambulant Betreuten Wohnen ist das natürlich anders, weil die Menschen oft allein in ihrer Wohnung sind und dort alleine leben. Und da findet halt viel über Spaziergänge statt. Oder wir haben einen Kollegen, der bietet zum Beispiel Fahrradtouren oder Musizieren an. Aber es kann natürlich immer nur im 1:1 Kontakt sein. Also diese Gruppenangebote wie wir das früher hatten, die können jetzt so nicht stattfinden. Was ich jetzt in zwei Wochen starte ist ein neues Projekt: der "Onkel Micha Bus" in Anlehnung an den Tante-Emma-Laden. Das heißt ein Bus fährt einmal die Woche zu den Wohngruppen und dann können die Bewohner sich von ihrem Geld dort Süßigkeiten und so weiter kaufen. Das ist dann nochmal ein Highlight, aber bietet auch eine Tagesstruktur. Wir haben aber auch Werkstätten, die haben mit den Wohngruppen vereinbart, dass die Bewohner auch zuhause arbeiten. Dass die Arbeitsaufträge bekommen und so auch eine Struktur haben.

 Das mobile Büdchen "Onkel Micha Bus".
Der Onkel Micha-Bus.

Der "Onkel Micha Bus" ist seit kurzem im Einsatz. Es ist ein mobiles Büdchen, das die einzelnen Wohngruppen für Menschen mit einer geistigen Behinderung in Köln und Umgebung anfährt und von Chips über Schokolade bis zu Zeitschriften alles zum Einkaufspreis anbietet.

Mit verschiedenen Angeboten gegen das Lagerkoller

Durch Deinen Job bist Du viel unterwegs in Köln. Was fehlt Deiner Meinung nach im städtischen Umfeld?

(MvG) Naja, was im städtischen Umfeld fehlt, da wird der Behindertenbeauftragte der Stadt Köln natürlich genau wissen, was im städtischen Umfeld fehlt. Ich finde, es fehlt so ein bisschen der Zugang zu Informationsschreiben in Leichter Sprache. Also wir sind diejenigen, die eigentlich untereinander auch diese Informationsschreiben bündeln und dann auch zugeschnitten für unsere jeweiligen Klienten diese dann auch aushändigen, besprechen und Verhaltensregeln etc. jetzt bezüglich Corona dann auch verteilen. Aber es gibt halt keine Plattform, die jetzt so barrierearm ist, dass jemand der eine kognitive Behinderung hat, Zugang zu diesen Materialien hat. Also wir sind quasi das Medium, dass das weiterverteilt. Das ist schwierig, aber wir versuchen so umfassend wie möglich auf die Bedarfe und Bedürfnisse unserer Klienten einzugehen.

Was ich noch sagen wollte, diese Tagesstruktur, gerade was Arbeit anbetrifft, das fehlt halt wirklich ganz stark. Viele wissen dann auch nicht, weil auch nur begrenzte Angebote stattfinden, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen. Also Social Distancing ist ein ganz schwieriges Feld im Moment. Und ich hoffe, dass durch ein paar Lockerungen und Öffnungen von Freizeitangeboten, dass das halt jetzt ein bisschen angenehmer gestaltet wird für unsere Klienten. Weil das ist jetzt doch eine sehr lange Zeit. Und das nagt bei vielen, also nicht nur bei uns an der Psyche, sondern auch bei vielen unserer Klienten.

Social Distancing ist ein ganz schwieriges Feld im Moment. Und ich hoffe, dass durch ein paar Lockerungen und Öffnungen von Freizeitangeboten, es ein bisschen angenehmer für unsere Klienten gestaltet wird.

Manuel von Gilsa

Das ganze Interview mit Untertitel

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Alex begann vor 20 Jahren als Studentin in der Diakonie Michaelshoven zu arbeiten. Sie hat 18 Jahre als Sozialarbeiterin im Ambulant Betreuten Wohnen gearbeitet, ist seit 6 Jahren Ansprechpartnerin für Leichte Sprache und koordiniert seit 4 Jahren die Freizeit- und Sportaktivitäten. Seit 2020 hat sie ebenfalls die Anfragen- und Kundenbetreuung übernommen.

Manuel ist seit 17 Jahren bei der Diakonie Michaelshoven und arbeitet hauptsächlich im Ambulant Betreuten Wohnen für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Zusätzlich verantwortet er das Kompetenzzentrum für Geflüchtete und Migranten mit Behinderung.

Mehr Infos zur Behindertenhilfe findest Du hier.

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