Interview

Warum uns die Pandemie so belastet und was wir tun können

Psychologin Isabel Kapner in ihrem Büro

Die Pandemie verlangt uns viel ab. Ängste und Sorgen um die eigene Zukunft und derer, die uns am Herzen liegen, führen zu Stress. Im schlimmsten Fall kann sie zu Depressionen oder selbstgefährdenden Handlungen führen. Experten raten die eigenen Widerstandskräfte zu stärken, oft hören und lesen wir in diesem Zusammenhang von Resilienz. Doch wie genau geht dieser Selbstschutz? Wir haben mit Psychologin Isabel Kapner gesprochen. Sie arbeitet im Berufsförderungswerk Köln (BFW) und erklärt, warum es gerade jetzt wichtig ist, auf die Selbstfürsorge zu achten und dem Tag eine Struktur zu geben.

Durch die Corona-Pandemie gibt es viele Einschränkungen. Was hat sich konkret für die Teilnehmenden, die eine berufliche Reha absolvieren, und auch bei Ihrer Arbeit verändert?

Die größte Veränderung ist sicher die Herausforderung, mit einer nie zuvor erlebten Pandemie umzugehen und mit den damit verbundenen Erfahrungen eines Lockdowns. Auch wenn wir jetzt in der zweiten Lockdown-Phase schon ein wenig Übung haben: Im letzten März war es so, dass die Teilnehmenden plötzlich von zu Hause aus ihre Arbeiten zu verrichten hatten, der private Lebensraum musste umgestaltet werden und für jeden Einzelnen wurde die technische Ausstattung überprüft und angepasst. Die gewohnte Tages- und Lernstruktur war von jetzt auf gleich nicht mehr in dem Maße vorgegeben und musste neu organisiert werden. Insgesamt war zu Beginn ein hohes Maß an Verunsicherung und Ängstlichkeit bei den Teilnehmenden zu spüren. Jede/r war und ist bis heute aufgefordert, ein großes Maß an Selbststrukturierung aufzubringen und mit den verunsichernden Gedanken und Gefühlen umzugehen. Wir Psycholog*innen haben zunächst viele stabilisierende telefonische Beratungsgespräche geführt und mit der Zeit dann auch andere Medien, wie z.B. die Video-Beratung, genutzt. Wie diese große Umstellung dem Einzelnen gelungen ist und noch gelingt, ist bis heute von vielen Faktoren, aber auch von den jeweiligen Lebensumständen abhängig.

Die größte Veränderung ist sicher die Herausforderung, mit einer nie zuvor erlebten Pandemie umzugehen und mit den damit verbundenen Erfahrungen eines Lockdowns.

Isabel Kapner

Unsere Gruppenangebote in den Bereichen Gesundheitskompetenz und Psychologie mussten im März letzten Jahres zunächst beendet werden und wurden dann einige Zeit später, zumindest teilweise, den Teilnehmenden als Online-Angebote zur Verfügung gestellt. Diese gelungene Umstrukturierung, die federführend aus dem Sportbereich auf den Weg gebracht wurde, ist beeindruckend. Psychologisch haben wir recht schnell die klassischen Entspannungsangebote wie das Autogene Training oder die Progressive Muskelentspannung wieder an den Start gebracht, jetzt zeitnah gefolgt von einer Achtsamkeitsgruppe, einem Stressbewältigungstraining und weiteren Angeboten. Auch die Prüfungsbewältigungsgruppen, die jeder Psychologe/in im eigenen Lehrgangsbereich anbietet, liefen weiter.

Welche psychologischen Auswirkungen haben bspw. die bestehenden Kontaktbeschränkungen, was haben Sie beobachtet und wie lassen sich diese erklären?

Psychologisch interessiert uns, was im Erleben eines Menschen gefühlsmäßig in einer neuen Situation vor sich geht, welche Veränderungen sich bemerkbar machen, wie Teilnehmende mit dieser Situation umgehen, ob eine Anpassung gelingt oder an welcher Stelle es schwierig wird.  Viele Teilnehmende berichten davon, dass sie unter den Kontaktbeschränkungen leiden, dass sie sich unsicher und einsam fühlen oder schlichtweg auch Angst vor Ansteckung haben. Nicht nur alleinlebende Teilnehmende, für die das Lernen in der Klassengemeinschaft und damit auch der soziale Austausch und das Miteinander wichtig sind, befinden sich in einer schwierigen Situation.

Es ist einfach ein großer Unterschied, ein Teil einer Gruppe im gemeinsamen Lehrgangsraum zu sein, zusammen zu lernen, auch mal zu lachen, zu diskutieren oder eben zu Hause zu sitzen und über einen zweidimensionalen Bildschirm in Verbindung mit anderen zu kommen. Diese reale Verbindung ist existenziell für uns und das, was zuvor zum normalen, wenn auch nicht immer ganz mühelosen Alltag gehörte, muss nun mit Hilfe von Technik hergestellt und in Form einer Bildschirmkommunikation Ersatz bieten.

Kontakt und Verbindung haben auch eine wichtige Spiegelfunktion, durch die ich eine Rückkopplung erfahre, ein Feedback, das mir dabei helfen kann, mich selbst besser wahrzunehmen.

Die Kommunikation im BFW Köln erfolgt hauptsächlich telefonisch und über Videochats.

Geist und Körper in Einklang zu bringen ist nicht für jeden einfach umsetzbar. Fitnessstudios sind geschlossen, soziale Kontakte sind aufs Minimum reduziert, das Homeschooling und Homeoffice strapaziert die Gemüter. Wie halte ich durch, ohne ein Ende zu sehen?

In dieser Zeit ist es enorm wichtig sich darauf zu besinnen, was uns guttut: Was hilft mir, um zu entspannen? Was bereitet mir im Leben Spaß und Freude? Natürlich sind einige Aktivitäten, die wir früher gemacht haben, aufgrund der aktuellen Situation nicht 1:1 möglich. Es geht also darum, frühere Aktivitäten so anzupassen, dass sie auch zu Hause oder draußen durchführbar werden. Beispiele: Der Besuch im Fitnessstudio kann mit Übungen, bei denen das eigene Körpergewicht eingesetzt wird, ersetzt werden. Der frühere Yogakurs kann nun mit Hilfe von Youtube-Videos zu Hause stattfinden. Einige Aktivitäten wie spazieren gehen, joggen oder Radfahren sind ja auch weiterhin gut machbar.

Wir haben im BFW zahlreiche Kurse zur Förderung der Gesundheitskompetenz. Ein Großteil wurde in Online-Angebote umgewandelt, bei denen sich unsere Teilnehmenden verbindlich einbuchen können. Überhaupt ist das Thema „in Bewegung bleiben“ wichtig und stärkt unsere Resilienz und Lebensfreude! Ob nun an der frischen Luft oder zu Hause.

In dieser Zeit ist es enorm wichtig sich darauf zu besinnen, was uns guttut: Was hilft mir, um zu entspannen? Was bereitet mir im Leben Spaß und Freude?

Isabel Kapner

In einer Leistungsgesellschaft sollen wir uns stark zeigen, negative Gefühle werden dabei oft unterdrückt. Angst, Sorgen und Stress begleiten uns allerdings seit fast einem Jahr. Was empfehlen Sie zum Umgang mit solchen Gefühlen?

Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Zunächst ist wichtig zu erkennen, dass diese Gefühle wie z.B. Hilflosigkeit, Ängste, Traurigkeit, aber auch Wut oder Ärger allesamt Reaktionen auf eine außergewöhnliche, wenn Sie so wollen „unnormale“ Situation, sind. Wir alle sind einer latenten Bedrohung ausgesetzt, für die es keine schnelle Lösung gibt. Der erste Schritt ist es, diese Gefühle und Empfindungen wahrzunehmen und anzuerkennen.

Nicht jeder Tag ist ein guter Tag, zeitweise überwiegen Sorgen und ein Gefühl der Überforderung. Es geht also um einen freundlichen Umgang mit sich selbst und dazu gehört auch, sich die innere Erlaubnis zu diesen Gefühlen zu geben. Positives Denken ist eine gute Sache, muss aber nicht immer gelingen. Wichtig ist es aber auch, nicht allzu lange mit diesen Empfindungen alleine zu bleiben und die eigenen Gedanken und Gefühle mit anderen zu teilen. So merken wir, dass wir gar nicht so alleine mit diesen Empfindungen sind. Das hat oft einen entlastenden Solidaritäts-Effekt, den wir auch häufig in unseren psychologischen Gruppenangeboten wahrnehmen.

Nicht jeder Tag ist ein guter Tag, zeitweise überwiegen Sorgen und ein Gefühl der Überforderung. Es geht also um einen freundlichen Umgang mit sich selbst und dazu gehört auch, sich die innere Erlaubnis zu diesen Gefühlen zu geben.

Isabel Kapner

Gibt es auch positive Entwicklungen, die Sie bei den Teilnehmenden feststellen können, die auf die veränderte Lebensweise zurückzuführen sind?

Ich glaube, alle Teilnehmenden, aber auch die Kolleginnen und Kollegen im BFW, haben ein echtes Upgrade ihrer Medienkompetenz erfahren, die uns auch über die Pandemiezeit hinaus erhalten bleibt.  Einige Teilnehmende haben mehr Selbstvertrauen entwickelt, weil sie feststellen, dass sie die Krisenzeit besser meistern, als zunächst angenommen. Manch ein eher zurückgezogener Teilnehmender hat eine neue Rolle in der Klassengemeinschaft einnehmen können, da er/sie durch ihr Wissen im Umgang mit den Medien anderen helfen konnte und zu einem „Experten“ wurde. Ich selbst beobachte bei mir und meinem beruflichen Umfeld auch Dankbarkeit, die Arbeit weiter ausüben zu können und ein verändertes Bewusstsein, frühere Selbstverständlichkeiten anders schätzen zu können.

 

Isabel Kapner stellt fest, dass sie aufgrund eines veränderten Bewusstseins durch die Pandemie, frühere Selbstverständlichkeiten anders schätzen gelernt hat.
Der Zusammenhalt innerhalb des Teams und auch der Austausch mit den weiteren Fachbereichen im BFW wurde durch die Pandemie noch stärker ausgebaut.

Zum Schluss noch: Welche praktischen Tipps haben Sie für uns, damit wir motiviert bleiben und den Geist fit halten?

Ich glaube, es ist bereits deutlich geworden, dass wir alle in größerem Maße aufgefordert und herausgefordert sind, einen Großteil unserer Motivation aus uns selbst zu schöpfen und uns auf unsere Stärken zu besinnen. Ein fitter Geist ruht meistens in einem Körper, der ausreichend Bewegung hat, einigermaßen gesund ernährt wird, ausreichend Sauerstoff und Schlaf bekommt.

Seelisch tut uns ein zugewandter Umgang mit uns selbst gut, der eigene Bedürfnisse erkennt und beantwortet. Hilfreich kann es sein, sich in diesen unsicheren Zeiten in einer ruhigen Minute zu fragen:  Was habe ich heute gut gemacht? Welcher Moment war schön? Wann habe ich mich gut gefühlt? Was hat mir Freude bereitet? Was kann ich noch stärker aktiv in mein Leben holen, damit es mir bessergeht?

Möglichst jeden Tag einen sozialen Kontakt zu haben, ein Gespräch zu führen, auch wenn es nur kurz ist. Umgekehrt kann es – je nach familiärer Lebenssituation – auch wichtig sein, sich Freiräume zu schaffen. Wer die Kapazität hat, kann anderen hier und da Unterstützung anbieten, das stärkt das Gemeinschaftsgefühl und verleiht dem eigenen Dasein zusätzlich Sinn.

Die aktuelle Zeit stellt definitiv hohe Anforderungen an uns, und es gelingt uns mal mehr und mal weniger gut damit umzugehen. Deswegen ist auch wichtig, nicht zu vergessen, sich selbst Unterstützung und Hilfe zu holen, wenn es mal haken sollte! 

Zur Person

Isabel Kapner ist seit 2016 im Berufsförderungswerk Köln beschäftigt und war zuvor schon jahrelang für einen anderen Träger der beruflichen Reha tätig. Die Diplom-Psychologin hat zusätzliche Qualifikationen als Tiefenpsychologische Tanz- und Ausdruckstherapeutin und ist Systemische Traumafachberaterin. Sie ist Teamleiterin von 12 Fachkräften, die die Teilnehmenden der beruflichen Reha psychologisch beraten  und begleiten. Jeder Lehrgang hat dabei eine feste Ansprechperson, sodass die Teilnehmenden jederzeit die Möglichkeit haben, sich psychologische Beratung und Unterstützung zu holen. Diese werden auch aktiv angesprochen, wenn ein Bedarf erkannt wird. Außerdem gibt es verschiedene Gruppenangebote, die auf psychologische Themen eingehen. Durch einen engen Austausch mit dem gesamten Reha-Team aus Ausbildung, Integrationsmanagement und Medizin soll eine ganzheitliche Betreuung gewährleistet werden, damit Teilnehmende auf ihre individuellen Bedarfe hin unterstützt werden

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