Blog der Diakonie Michaelshoven

Besondere Menschen aus Köln erzählen besondere Geschichten

Wir wollen Einblicke in außergewöhnliche Lebenswelten schaffen und euch die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen vorstellen, die bei uns leben und arbeiten. Außerdem stellen wir euch besondere Projekte vor, die helfen, die Lebensqualität dieser Menschen zu erhöhen.

Und es gibt immer mehr Menschen in Köln, die diese Unterstützung benötigen. Umso wichtiger ist es hinzuschauen und aktiv zu werden, indem ihr die Geschichten weitererzählt oder sogar ehrenamtlich helft. Nur so können wir näher zusammenrücken! Wir wünschen euch viel Spaß auf diesen Seiten und freuen uns auf euer Feedback.

Einblick

Stabil oder labil? Wenn die Psyche Achterbahn fährt

Frauen, die häusliche Gewalt erleben, die nicht mehr zuhause leben können oder sogar schon auf der Straße gelandet sind, suchen Hilfe im Elisabeth-Fry-Haus (EFH). Jutta P. hat diese Anrufe jahrelang entgegengenommen und weitergeleitet, denn sie arbeitete ehrenamtlich im zentralen Empfang. Die 72-Jährige weiß um die Sorgen und Ängste der Frauen, denn auch sie war auf Hilfe angewiesen und lebte viele Jahre in dem Kölner Wohnheim.

Passend zur Vorweihnachtszeit hat Jutta P. gerade die Noten für den Song „Feliz Navidad“ von ihrem Gitarrenlehrer erhalten. Erst vor einem Jahr hat sie mit dem Gitarrenunterricht begonnen und hat schon einige Klassiker von Bläck Fööss bis Beatles in ihrem Repertoire. „Frau Engel, meine Bezugssozialarbeiterin, fragte mich, was ich schon immer mal machen wollte. Und da dachte ich, jetzt mit über 70 Jahren ist es endlich soweit“, lacht J. Platzer, „denn es war immer mein Kindheitstraum, Gitarre zu spielen“. Sie möchte sich mehr Zeit für ihre Hobbies nehmen, jetzt wo sie ihr ehrenamtliches Engagement im EFH quasi beendet. 2022 möchte sie einen Yogakurs ausprobieren „Ich werde aber weiterhin als Springerin zur Verfügung stehen“, sagt sie.

1999 ist die gebürtige Gummersbacherin mit dem Zug nach Köln gefahren, ohne zu wissen, wie es weitergeht. „Ich war damals wohnungslos und kam am Kölner Hauptbahnhof an. Dann habe ich bei der Bahnhofsmission nach einer Übernachtungsmöglichkeit gefragt, und sie haben beim EFH einen Termin für mich ausgemacht, und ich bin dann dorthin gefahren“, erinnert sie sich zurück. Dort lebte sie dann anderthalb Jahre. „Ich kam im EFH sehr gut zurecht und habe sehr schnell mit meiner Tätigkeit am zentralen Empfang begonnen“, sagt Jutta P.

Sie organisierte ihr Leben neu, fand einen Job, konnte sich eine eigene Wohnung leisten, zog aus dem EFH aus und kam mit ihrem Einkommen gut zurecht. Es lief einige Jahre richtig gut bei ihr, doch dann wurde das Unternehmen, in dem sie arbeitete, insolvent und verkauft. „2006 wurde ich dann arbeitslos, und da kam dann alles bei mir zusammen“, erinnert sie sich zurück. „Ich habe mit der Miete geschludert und meine Wohnung auseinandergenommen, da ich in einer ziemlichen Krise voller Wut und Emotionen war. Da habe ich dann natürlich eine fristlose Kündigung vom Vermieter erhalten“, sagt die 72-Jährige.

Neustart nach der Krise

Nach diesen Vorfällen kümmerte sich ein Betreuer um ihre Angelegenheiten und leistete ihr Unterstützung. „Es wurde bei mir eine Psychose festgestellt, die mit Medikamenten behandelt werden musste“, sagt Jutta P. Da sie erneut wohnungslos war, kümmerte sich der Betreuer um einen Wohnplatz, wieder im EFH. „Es war ein komisches Gefühl, dort wieder hinzuziehen. Damit hatte ich ja nicht gerechnet“, sagt sie.

Sehr schnell arbeitete sie wieder am zentralen Empfang. „Ich habe sonst nicht viel gemacht, ich habe so vor mich hingelebt. Aber das war in Ordnung“, sagt Jutta P. Es war eine wechselhafte Zeit im EFH mit Höhen und Tiefen. 2019 stand dann der Umzug in die neueröffnete Wohngruppe für Frauen mit psychischen Erkrankungen in Köln-Sülz an. „Das sind schöne, kleine Wohngruppen mit jeweils vier Frauen. Wir teilen uns das Bad und die Küche. Ich fühle mich dort sehr wohl, und es klappt auch ganz gut mit dem WG-Leben“, sagt Jutta P. Auch gibt es gemeinsame Aktivitäten, wie zum Beispiel der Weihnachtsmarktbesuch oder ein gemeinsames Kaffeetrinken.

Gitarrenunterricht Jutta
Mit dem Gitarrenunterricht geht ein Kindheitstraum für Jutta P. in Erfüllung und sie hat in einem Jahr schon einige Musikstücke gelernt.
ausflug mit Wohngruppe
Ausflüge mit der Wohngemeinschaft finden das ganze Jahr statt. Zuletzt sind sie auf den Weihnachtsmarkt gegangen.
Auszeichnung mit dem Michaelshovener Engel
Birgit Heide (Theologischer Vorstand) und Carlos Stemmerich (Ehrenamtsbeauftragter) haben in diesem Jahr Jutta P. für ihre langjährige ehrenamtliche Tätigkeit ausgezeichnet.

Wenn man mal schlecht drauf ist, dann macht man daraus viel zu schnell ein Drama.

Jutta P.

Ich fühle mich sehr stabil

Die Psychose spielt keine tragende Rolle mehr in ihrem Leben, seit sie 2011 ihre Medikation als Depotspritze erhält. Über die Zeiten, in denen sie einmal freiwillig und zweimal unfreiwillig in einer stationären Klinik war, möchte sie nicht sprechen, sondern lieber nach vorne schauen. „Seit wenigen Monaten erhalte ich nun alle vier Wochen die niedrigste Dosis, die man bekommen kann“, erklärt sie. „Ich fühle mich sehr stabil. Und seit ich in der neuen Wohngruppe lebe, hat es sich noch mal mehr für mich verbessert“, sagt sie. Den größten Halt gibt ihr der Kontakt zu ihrer Tochter. „Und das ich mit den Mitarbeiterinnen im EFH reden kann. Darum ist mir die Arbeit am Zentralen Empfang auch immer so wichtig gewesen“, sagt Jutta P.

Sie wünscht sich, dass ihre Mitmenschen nicht immer so viel in den Gemütszustand hineininterpretieren. „Wenn man mal schlecht drauf ist, dann macht man daraus viel zu schnell ein Drama. Oder meint, der Mensch ist doch psychisch krank oder hat eine depressive Phase“, erklärt Jutta P. Aber sie wünscht sich auch mehr Aufklärung: „Die meisten Menschen wissen noch nicht mal, wie sie mit einem Menschen umgehen sollen, der eine körperliche Behinderung hat. Wie sollen sie dann wissen, wie sie mit Menschen psychischen Erkrankungen umgehen sollen?“

Die Wohngemeinschaft für Frauen mit psychischen Erkrankungen ist ein Angebot der Eingliederungshilfen der Diakonie Michaelshoven. Weitere Informationen findest Du hier. Zum Elisabeth-Fry-Haus findest Du mehr Informationen hier. 

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