Blog der Diakonie Michaelshoven

Besondere Menschen aus Köln erzählen besondere Geschichten

Wir wollen Einblicke in außergewöhnliche Lebenswelten schaffen und euch die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen vorstellen, die bei uns leben und arbeiten. Außerdem stellen wir euch besondere Projekte vor, die helfen, die Lebensqualität dieser Menschen zu erhöhen.

Und es gibt immer mehr Menschen in Köln, die diese Unterstützung benötigen. Umso wichtiger ist es hinzuschauen und aktiv zu werden, indem ihr die Geschichten weitererzählt oder sogar ehrenamtlich helft. Nur so können wir näher zusammenrücken! Wir wünschen euch viel Spaß auf diesen Seiten und freuen uns auf euer Feedback.

Interview

Wie straffällige Kinder und Jugendliche „Die Kurve kriegen“ können

„Das ist der beste Job, den ich bisher hatte“, sagt Lea Dörwaldt. Die Sozialarbeiterin begleitet kriminelle Kinder und Jugendliche, die „die Kurve“ kriegen sollen. So heißt nämlich die Initiative, das straffällige Kinder und Jugendliche seit dem 1. Juli 2022 im Rheinisch-Bergischen-Kreis durch eine enge Zusammenarbeit von pädagogischen Fachkräften der Diakonie Michaelshoven und der Polizei begleitet. Ziel ist es, die jungen Menschen von weiteren kriminellen Straftaten abzuhalten und ihnen Perspektiven aufzuzeigen. Die erfolgreiche Initiative wird seit 2011 durch das Innenministerium NRW ermöglicht und ist bereits in 40 der 47 Kreispolizeibehörden umgesetzt.

Du arbeitest als pädagogische Fachkraft bei „Kurve kriegen“, was hat dich an dem Job überzeugt?

Für mich ist es eine besondere Herausforderung, mit straffälligen Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. Ich finde, das ist eine ganz tolle Arbeit, weil ich meine Teilnehmer unterstützen kann viel zu erreichen und ihnen eine positive Entwicklung ermögliche. Außerdem sind in diesem Job ganz viele meiner Interessen vereint. Schon zu Schulzeiten dachte ich nämlich, dass ich Jura studieren will. Und auch die Zusammenarbeit mit der Polizei hat mich gereizt. Und jetzt nach einem halben Jahr kann ich sagen: „Ich liebe meinen Job!“

Wie finden Dich denn die Jugendlichen?

Die meisten Jugendlichen, mit denen ich bisher zusammengearbeitet habe, sagten zu mir: „Frau Dörwaldt, Sie sind hart aber fair.“ Und genau so würde ich mich auch beschreiben. Meine Umgebung kennt mich auch so, dass ich zum einen sehr einfühlsam bin, aber auch klare Grenzen vermittle. Und das ist in meinem jetzigen Job auch sehr wichtig.

Was genau machst du in deinem Job?

Meine Arbeit ist eine gute Mischung aus administrativen und operativen Aufgaben, also die Zusammenarbeit mit den teilnehmenden Jugendlichen, deren Familien und der Aufbau der Netzwerkarbeit, z.B. mit den Schulen und Jugendämtern oder auch Suchthilfevereinen oder Jugendwerkstätten. Dann greifen wir auch auf Drittanbieter zu, die wir für die Arbeit mit den betreuten Jugendlichen beauftragen können. Das kann ein Anti-Gewalt-Training, die erlebnispädagogische Arbeit oder auch eine tiergestützte Intervention sein. Die Beziehungsarbeit mit dem Kind oder Jugendlichen und auch deren Angehörigen übernehme ich dabei.

Wer stellt den Kontakt zu dem straffälligen Jugendlichen her?

Das läuft über die Polizei im Rheinisch-Bergischen-Kreis, die sich die Biografien der straffälligen Jugendlichen anschaut. Wenn dann jemand in das Programm „Kurve kriegen“ passt, das heißt im Alter von 8 bis 15 Jahren ist und eine Gewalttat oder bspw. drei Eigentumsdelikte begangen hat, kommt er in die engere Auswahl. Es wird dann auch nach Risikofaktoren geschaut, so wird geprüft, wie z.B. die Lebensumstände sind. Lebt der oder die Jugendliche bei der Familie oder in einer Jugendhilfeeinrichtung? Sind die Eltern verheiratet oder geschieden? Gibt es Geschwister? Dann stellt die Polizei den Kontakt zu den Familien oder Einrichtungen her und macht einen ersten Termin aus. Dabei wird den Jugendlichen auch erklärt, was das Programm „Kurve kriegen“ überhaupt ist.

Wann kommst du dann ins Spiel?

In den meisten Fällen erhält die Polizei die Einverständniserklärung der Erziehungsberechtigten, um die Daten an mich weiterzugeben. Die Familien sind sehr daran interessiert, dass den Kindern und Jugendlichen geholfen wird. Wenn ich dann in die Familien reingehe, überlegen wir gemeinsam, was helfen kann, wo es Probleme und Ressourcen gibt, und wie wir den jungen Menschen stärken können. Und ganz wichtig ist es dabei auch, mit den Jugendlichen selbst zu sprechen und zu erfahren, ob sie überhaupt etwas verändern wollen. Denn ich kann nur mit denen zusammenarbeiten, die das auch wirklich möchten. Nur dann ist auch gewährleistet, dass meine Hilfe angenommen wird.

Wie viele Jugendliche betreust du und nehmen sie noch alle an dem Programm teil?

Den ersten Jugendlichen betreuen wir schon seit Juli 2022, mittlerweile unterstützen wir jetzt insgesamt fünf Jugendliche. Vielleicht kommt am Freitag noch jemand dazu. Die Altersspanne liegt zwischen neun und 15 Jahren. Die Jugendlichen haben alle ganz unterschiedliche Delikte begangen und auch unterschiedliche Biografien. Das macht es für mich auch immer wieder spannend, sie kennenzulernen und zu erfahren, wie ich sie begleiten und unterstützen kann.  

Um was für Straftaten handelt es sich denn dabei?

Fast alle, die ich aktuell betreue, haben Gewalttaten begangen, vom Raub und Diebstahl über Drohungen bis hin zur Anwendung von Gewalt.

Was für Gründe gibt es, dass Kinder und Jugendliche straffällig werden?

Meist hat es einen familiären Hintergrund, warum es zu einer Straftat bei Minderjährigen kommt. Sei es die Trennung der Eltern, die vielleicht auf dem Rücken der Kinder ausgetragen wurde, oder sie haben nicht den Rückhalt der Eltern oder sie leben gar nicht mehr in der Familie. Oft ist die Straftat auch eine Art von Hilferuf. Die jungen Menschen wollen Aufmerksamkeit, und dann ist es ihnen auch egal, ob sie es mit einer positiven oder negativen Handlung erhalten.

Das Team von "Kurve kriegen" im Rheinisch-Bergischen-Kreis (v.l.): Kriminalhauptkommissar Stefan Lurz, Timo König und Lea Dörwaldt (pädagogische Fachkräfte), Peter Liening (Leiter des Kriminalkommissariats für Kriminalprävention und Opferschutz)

Wie sieht es mit den falschen Kreisen aus, also Freunde, die einen mitreißen?

Es ist auch dieses Bedürfnis, sich woanders Anerkennung zu holen und sich dann auch in den eigenen Gruppen zu profilieren. Oft ist es so, dass dann ältere Jugendliche, die strafmündig sind, die jüngeren anstiften, zu klauen, da diese noch nicht bestraft werden können. Aber auch hier können wir helfen, wenn sich die Kinder und Jugendlichen auf das Programm von „Kurve kriegen“ einlassen und wir gemeinsam eine Strategie entwickeln. Beispielsweise müssen diese Kinder dann lernen, „Nein“ zu sagen, auch wenn es die eigenen Freunde sind. Und im besten Fall nimmt man die Freunde mit ins Boot und bearbeitet es gemeinsam als Peer-Group. Das sind alles Möglichkeiten, die uns offenstehen.

Sprichst du auch mit den Eltern?

Also ich kann die Eltern oder auch Geschwister, wenn es sie denn gibt, mit einbinden. Das mache ich aber nur dann, wenn es sinnvoll ist.  

Wer bezahlt denn die Maßnahmen, wie ein Anti-Gewalt-Training?

Unsere Kalkulationen schicken wir an das Innenministerium NRW und bekommen Anfang des Jahres Bescheid, wie viele Mittel uns zugewiesen werden und was wir ausgeben können. Dann können wir unsere konkreten Maßnahmen für die Kinder und Jugendlichen planen.

Wie oft triffst du dich mit den Jugendlichen?

Das kommt immer darauf an, wie der Bedarf ist, das ist bei jedem individuell. Wenn die Jugendlichen mich gerne zweimal die Woche treffen wollen, dann mache ich das. Oder wir sehen uns einmal und telefonieren dann nochmal in der Woche. Wenn sie schon in einer Maßnahme teilnehmen, dann informiert mich der Drittanbieter, wie es mit dem Teilnehmer gelaufen ist. Wenn der Jugendliche erneut eine Straftat begangen hat, dann setzt mich die Polizei in Kenntnis, und ich nehme dann direkt den Kontakt mit dem Jugendlichen auf.

Welche Entwicklung siehst du bei den von dir betreuten Jugendlichen?

Bei einem Jugendlichen stelle ich fest, dass die Straftaten nicht nur weniger geworden sind, sondern auch die Intensität abgenommen hat. Also was am Anfang noch eine Körperverletzung war, ist jetzt nach einigen Monaten „nur“ ein Diebstahl. Und ich merke mit der Zeit auch, dass die Beziehungsarbeit fruchtet, die Jugendlichen öffnen sich zunehmend, und die Bereitschaft auch mal etwas auszuprobieren, was ich vorschlage, ist gegeben. Aber das ist noch nicht bei jedem so. Ich denke, einige können sich da einfach besser drauf einlassen und anderen fällt es schwerer, die Hilfe anzunehmen. Das hat auch mit dem jeweiligen Umfeld zu tun. Wenn die Jugendlichen in einer Clique sind, die diese Entwicklung nicht cool finden, dann zeigt sich das auch beim Verhalten des Jugendlichen.

Sprechen die Jugendlichen denn in ihrem Freundeskreis darüber, dass sie von Dir begleitet werden?

Ich dachte auch erst, sie würden es verschweigen. Aber als ich mal mit einem der Jugendlichen unterwegs war, trafen wir zufällig seine Freunde, und ich wurde ihnen vorgestellt. Das hat auch mein Kollege Herr König schon erlebt, dass es sehr offen im jeweiligen Umfeld kommuniziert wird. Ich bin mir da jetzt auch nicht sicher, ob es vielleicht auch nach dem Motto läuft: Schaut mal, was für ein schlimmer Finger ich bin, jetzt habe ich sogar meine eigene Sozialarbeiterin. (lacht)

Wie gehst du damit um, wenn ein Jugendlicher rückfällig wird?

Also wenn die Jugendlichen Mist gebaut haben, dann sage ich das auch klar, dass ich das blöd finde, was da passiert ist. Und ich sage auch, dass wir zwar weiter mit den Gegebenheiten weiterarbeiten, aber es nicht noch mal vorkommen soll. Im Endeffekt ist es so, dass die Jugendlichen für ihr Leben verantwortlich sind und ich nur diejenige bin, die die Mittel zur Verfügung stellt, damit es besser in ihrem Leben läuft. Dann kann jeder für sich entscheiden, was er daraus macht. Aber wie schon gesagt, es ist ein freiwilliges Programm und eine echte Chance für die Jugendlichen, aus der Straffälligkeit rauszukommen. Dafür müssen sie die Bereitschaft haben, auf freiwilliger Basis mitzuarbeiten.

Die Polizei vor der Haustür zu haben, ist meist kein Grund zur Freude. Wie diskret läuft „Kurve kriegen“ ab?

Wenn die Polizei bei einem anruft, dann ist man als Elternteil natürlich erst mal schockiert. Oder vielleicht auch nicht, weil man es schon gewohnt ist oder es erwartet hat. Aber die Kollegen von der Polizei sind da sehr einfühlsam. Sie machen schnell klar, dass sie keine Vollstreckungsbeamten sind, sondern ganz im Gegenteil die helfende Hand reichen, um kooperativ eine Lösung für das Kind oder den Jugendlichen zu finden. Die Kollegen von der Polizei besuchen die Familien dann natürlich auch zivil, also ohne Polizeiwagen und ohne Uniform, damit die Nachbarschaft nichts mitbekommt und es nicht zu einer Stigmatisierung kommt.

Es ist erschreckend zu hören, dass ein neunjähriges Kind schon mit Delikten auffällt. Was läuft da schief?

Ich glaube, dass ganz viel in der Gesellschaft falsch läuft. Ich denke das „Kurve kriegen“ eine gute Lücke schließt. Straffällige Jugendliche werden erst ab 14 Jahren in der Jugendgerichtshilfe behandelt, straffällige Kinder hingegen werden vom Jugendamt betreut. Die dortigen Mitarbeitenden wissen aber oft gar nicht so richtig, was sie mit den Kindern anfangen sollen. Und jetzt gibt es mit uns jemanden, der als Ansprechpartner fungieren kann. Wir sind Bindeglied zwischen dem, was das Jugendamt möchte, was die Eltern wollen und was vor allem die Kinder und Jugendlichen wirklich brauchen.

Meiner Erfahrung nach ist es oft so, dass die Eltern oder das Jugendamt irgendwas durchsetzen, was das Kind eigentlich gar nicht möchte. Und dann bin ich die Erste, die das Kind mal fragt, wie es ihm geht und was es überhaupt möchte. Das ist dann für das Kind oder den Jugendlichen erst mal ein großer Schock, weil es vorher noch nie wirklich nach den eigenen Bedürfnissen gefragt wurde.

Was steht die Woche bei dir an?

Mein Kollege Herr König und ich stellen uns als Team in Einrichtungen vor in denen Jugendliche in Wohngruppen leben, damit diese uns und unsere Arbeit kennenlernen. Außerdem haben wir noch ein Gespräch in der Schule eines Teilnehmenden, um zu schauen, wie wir weiter vorgehen. Wir lernen dann noch einen Erlebnispädagogen und seine Angebote kennen, und am Freitag habe ich einen Erstkontakt mit einem potenziellen Teilnehmer von „Kurve kriegen“. Dann muss ich natürlich auch meine Arbeit dokumentieren, E-Mails schreiben und auch beantworten.

Das Programm „Kurve kriegen“ läuft ja sehr erfolgreich, wie viele setzen es um und was kostet die Initiative denn?

Also bis auf sieben Polizeibehörden sind jetzt alle in NRW am Start. Die letzten sieben Polizeibehörden sollen jetzt mit der Arbeit beginnen. Das Programm läuft ja schon seit 2011 und da gibt es einige Absolventen. Natürlich gibt es auch Abbrecher, also die Garantie gibt's nicht, dass wir jetzt den Zauberstab rausholen und zack jetzt wird alles besser. Aber generell erweist sich das Konzept mit der Zusammenarbeit von pädagogischen Fachkräften und der Polizei als sehr erfolgreich.

Über Lea Dörwaldt

Das Schulpraktikum hat Lea Dörwaldt in der Jugendgerichtshilfe gemacht. Sie entschloss sich nach dem Abitur für ein FSJ in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Danach stand für sie fest, dass sie Soziale Arbeit in Hamburg studieren möchte. Ihr sechsmonatiges Praxissemester absolvierte sie in der Bewährungshilfe in Köln. In ihrem ersten Job in einer Intensivgruppe für Jugendliche mit psychischen Erkrankungen leistete sie viel Beziehungsarbeit. Sie wechselte in die forensische Psychiatrie, aber dort fehlte ihr die praktische Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen. In ihrem nächsten Job baute sie gemeinsam mit weiteren Fachkräften ein neues Mutter-Kind-Haus auf. Als die 27-Jährige die Ausschreibung von „Kurve kriegen“ sah, wusste sie, dass sie wieder mit Kindern und Jugendlichen arbeiten wollte. Seit Juli 2022 ist sie als pädagogische Fachkraft bei der Diakonie Michaelshoven eingestellt.

 

  • Ein Intensivtäter hinterlässt bis zu seinem 25. Geburtstag ca. 100 Opfer.

  • Ein Intensivtäter verursacht bis zu seinem 25. Lebensjahr ca. 1,7 Millionen € soziale Folgekosten.

  • Gelingt es, eine potenzielle Karriere eines Intensivtäters mit 14 Jahren zu beenden, spart die Gesellschaft ca. 1,7 Millionen € bis zum 25. Lebensjahr als Folgekosten.

  • Es wird gesagt, das pro Teilnehmer bei "Kurve kriegen" jährlich ca. 11.000€ ausgegeben werden.

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