Wege aus der Sucht
Alkoholismus ist eine Sucht, die jeden treffen kann. Egal, welches Alter, welche Herkunft, welche soziale Schicht. Der Missbrauch hat erhebliche gesundheitliche Folgen. Hinzu kommen die sozialen Probleme. Ein teuflischer Kreislauf, dem man so einfach nicht entkommt.
Das Jahr 2014 erschütterte Udo Riedels Leben grundlegend. „Ich habe 25 Jahre lang in einer Metzgerei als Angestellter gearbeitet“, erzählt der 52-Jährige. Er war bodenständig, ging regelmäßig zur Arbeit. Eine Ehe war vor Jahren gescheitert, Kinder hat er nicht. „Ich habe irgendwann nur noch gearbeitet, gefühlt rund um die Uhr“, sagt er. „Ich habe alle Kontakt abgebrochen, meine Wohnung vernachlässigt, Rechnungen weder geöffnet noch bezahlt.“ Der Zustand seiner Wohnung wurde so schlimm, dass er sich in seinen eigenen vier Wänden nicht mehr wohlfühlte. „Ich bin irgendwann nicht mehr nach Hause gegangen, sondern habe mich auf der Straße aufgehalten.“
Ich bin irgendwann nicht mehr nach Hause gegangen, sondern habe mich auf der Straße aufgehalten.
Udo Riedel
Auch zur Arbeit erschien er nicht mehr bis sein Chef ihm kündigte. Ihn überfiel eine schwere Depression. Das Prekäre daran: Schon einmal war er dem Alkohol verfallen, machte einen Entzug, weil er mit der Scheidung von seiner Ex- Frau nicht zurecht kam. Seit 14 Jahren war er trocken. Doch seine Lebenslage brachte ihn zu einem Rückfall. „Ich bin mit allem einfach nicht zurecht gekommen“, sagt er.
Wieder rückfällig
Die Situation eskalierte. Udo Riedel wurde rückfällig – er kaufte eine Flasche Bier. „Ich hatte die Flasche ganz bewusst gekauft. Es war keine Kurzschlussreaktion. Trotzdem saß ich vor der Flasche und starrte sie an – ein oder zwei Stunden lang. Ich wusste, dass ich sie öffnen würde, nur das Wann zögerte ich hinaus.“ Bei einer Flasche blieb es nicht. Udo Riedel verfiel in alte Muster und trank wieder regelmäßig. „Ich hatte das Gefühl, ich könne das Leben nur im Rausch aushalten.“ Die Kündigung seiner Wohnung ließ nicht lange auf sich warten. Ihn plagten Selbstmordgedanken.
Ich hatte das Gefühl, ich könne das Leben nur im Rausch aushalten.
Udo Riedel
Es schien keinen Ausweg zu geben. Er lebte auf der Straße, hatte keinen Job und war schwer suchtkrank. Seine Mutter hatte zu dieser Zeit bereits eine Vermisstenanzeige bei der Polizei aufgegeben. „Ich hatte mich am Düsseldorfer Hauptbahnhof herumgetrieben und wurde von Beamten kontrolliert“, sagt er. „Nachdem sie meine Personalien hatten, sagten sie, dass meine Mutter bereits nach mir suchte. Ich hatte seit drei Monaten nicht mit ihr gesprochen. Doch als ich wusste, dass sie nach mir suchte, rief ich sie an und sagte, dass ich nun einen Entzug machen würde.“
Entzug und Therapie
Udo Riedel hielt Wort. Er machte einen Entzug über drei Wochen im Klinikum Köln-Merheim. Von da an wartete er auf einen Platz in der Langzeittherapie. Doch das gestaltete sich schwierig. Zu diesem Zeitpunkt lebte er von Hartz IV, konnte sich keine Wohnung leisten. Er wurde von der Stadt Köln in Notunterkünfte für Obdachlose einquartiert, in denen „menschenunwürdige Zustände herrschten“. Bis ein Therapieplatz in Bergisch Gladbach frei wurde. Drei Monate verbrachte er dort.
Wäre ich nicht hierhergekommen, hätte ich wahrscheinlich wieder mit dem Trinken angefangen.
Udo Riedel
Gleichzeitig wurde ihm jedoch klar, dass er auch nach der Therapie nicht in der Lage sein würde, in sein altes Leben zurückzukehren. Hilfe versprach er sich von Haus Segenborn, eine Einrichtung der Diakonie Michaelshoven im Oberbergischen Kreis. Hier finden Wohnungslose die Ruhe und Unterstützung, die sie brauchen, um einen geregelten Alltag selbstständig führen zu können. Hier lernte er eine neue Tagesstruktur, Selbstversorgung und den Umgang mit Geld. Denn was vielen nicht bewusst ist: Trotz Entzug und Therapie bleiben die Probleme, die oftmals der Auslöser für eine Sucht waren: soziale Schwierigkeiten, Schulden, Obdachlosigkeit. In Haus Segenborn werden die Bewohner nach einem Entzug entsprechend ihrem Bedarf versorgt, betreut und dabei unterstützt, genau diese Angelegenheiten in den Griff zu bekommen. „Die Sucht wird in der Therapie bekämpft und alles andere in Segenborn“, sagt Udo Riedel. „Wäre ich nicht hierhergekommen, hätte ich wahrscheinlich wieder mit dem Trinken angefangen.“
Die Sucht ist bekämpft, die Probleme bleiben
Und dann folgt ein weiteres Problem: die Wohnungssuche. Besonders für Einzelpersonen ist bezahlbarer Wohnraum in Köln und auch im ländlichen Bereich eine Rarität, hinzu kommt dann noch die Stigmatisierung durch den Aufenthalt in Haus Segenborn. Udo Riedel hat es geschafft, ein Apartment über die Diakonie Michaelshoven zu bekommen. Er lebt seit Februar 2018 fest in Benroth. Jeden Tag kommt er nach Segenborn, um ehrenamtlich zu arbeiten. Besonders gerne ist er im Kuhstall. „Ich liebe die Kühe und die anderen Tiere hier. Sie sind nicht so wie Menschen, sie zeigen einem direkt, ob sie einen mögen oder nicht. Ich weiß bei ihnen immer, woran ich bin.“ Die Arbeit hilft ihm immer noch, seinen Alltag zu regeln. „Hier habe ich den Kopf frei. Ich arbeite immer noch jeden Tag an meinen Problemen.“
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