Wohnungslos auf dem Land
Auch in ländlichen Regionen leben Menschen auf der Straße. Die Zahlen sind zwar nicht mit denen in Städten zu vergleichen, aber lebensrettende und existenzsichernde Hilfen für wohnungslose Menschen sind auch hier notwendig. Wilfried Fenner arbeitet seit über 20 Jahren bei den Wohnhilfen Oberberg der Diakonie Michaelshoven. Er erklärt uns, dass sich betroffene Personen teilweise bewusst für das Leben auf der Straße entscheiden. Aber es gibt auch eine große Zahl an Menschen, die zwangsweise wohnungslos werden, weil sie keine andere Lösung gefunden haben. Die Mitarbeitenden der Wohnhilfen Oberberg stehen diesen Menschen zur Seite.
Was ist der Unterschied zwischen Obdachlosigkeit in der Stadt und auf dem Land?
Die Menschen, die hier auf dem Land keinen Wohnraum zur Verfügung haben, stehen unter einem enormen sozialen Druck. Die meisten wollen nicht als wohnungslose Personen von der Bevölkerung erkannt werden und gehen daher mit ihrer Situation versteckt um. Die Menschen, die auf der Straße schlafen, versuchen dies zu kaschieren. So werden Abrisshäuser oder auch Gartenlauben zu ihren Rückzugsorten. Das ist ein großer Unterschied zu den Großstädten, in denen obdachlose Menschen offensichtlich zum Stadtbild dazugehören. Wenn ein Mensch hier auf dem Land auf der Straße lebt, führt dies eher zu Irritationen in der Bevölkerung.
Welche Gründe gibt es für Wohnungslosigkeit?
Die Gründe sind sehr vielfältig. Meist steht die Wohnungslosigkeit am Ende einer sozialen Problemlage. Vorher kommt es häufig durch fehlendes Einkommen, möglicherweise hervorgerufen durch einen Arbeitsplatzverlust, zu vermehrten Mietrückständen. Oftmals sind gleichzeitig auch eine Suchterkrankung oder psychischen Erkrankungen vorhanden. Diese Faktoren bringen den Mieter dann in eine Situation, die vom Vermieter nicht mehr toleriert wird. Häufig erfolgt dann die Räumungsklage.
Meist steht die Wohnungslosigkeit am Ende einer sozialen Problemlage.
Wilfried Fenner
Suchen sich wohnungslose Menschen Hilfe oder muss ihnen aktiv Hilfe angeboten werden?
Es gibt eine Menge Leute, die in unsere Fachberatungsstelle kommen und nach Hilfe fragen, weil sie die Wohnung verloren haben und bei Freunden oder Verwandten übernachten. Aber es gibt auch sehr viele Leute, die sich in der Situation schämen oder aus anderen Gründen nicht in der Lage sind, Hilfen von uns anzunehmen.
Deshalb sind wir darauf angewiesen, dass Freunde, Bekannte oder auch Bürger, die das mitbekommen, uns informieren. Dann haben wir die Möglichkeit, die Menschen da, wo sie sich aufhalten, aufzusuchen. Die Kombination aus Aufsuchender Arbeit, oder auch Streetwork genannt, und den Fachberatungsstellen soll Hilfesuchenden dezentral zur Verfügung stehen. Wir zeigen dann den Menschen Möglichkeiten auf, wo sie zumindest Grundbedürfnisse abdecken können. Hier in der Fachberatungsstelle gibt es beispielsweise eine Waschmaschine, eine Dusche und einen warmen Raum für den Aufenthalt. Auch kann das Smartphone aufgeladen und ein Kaffee getrunken werden.
Wir sind darauf angewiesen, dass Freunde, Bekannte oder auch Bürger, die das mitbekommen, uns informieren.
Wilfried Fenner
Klären sich Fälle von Wohnungslosigkeit schnell oder dauert die Begleitung länger?
Manche Menschen sind sehr froh, angesprochen zu werden, um dann gemeinsam eine Lösung zu finden. Da geht es unter anderem um die Antragstellung beim Jobcenter oder bei der Agentur für Arbeit, um so auch schnell finanzielle Unterstützung zu erhalten und dann weitere Schritte zu gehen. Bei anderen dauert es ein bisschen länger, da gibt es immer wieder Abbrüche und man muss gemeinsam dann noch mal neu beginnen. Diese Menschen wissen aber, dass sie sich jederzeit wieder an uns wenden können.
Es gibt aber auch Menschen, die wir unterstützen und begleiten, deren Lebenssituation sich nur wenig ändert, weil die Bereitschaft einfach nicht da ist.
Wen betrifft Wohnungslosigkeit im OBK, können Sie dabei einen Trend vermerken?
Der Anteil der untergebrachten Frauen ist in den letzten Jahren gestiegen. Wir müssen da immer stärker auf Notunterkünfte im Oberbergischen Kreis zurückgreifen. Bei den Frauen ist jede Altersspanne vertreten, von gerade mal 18 bis 55 Jahre.
Der Anteil der untergebrachten Frauen ist in den letzten Jahren gestiegen. Wir müssen da immer stärker auf Notunterkünfte im Oberbergischen Kreis zurückgreifen.
Wilfried Fenner
Wie ist das Netzwerk im OBK, gelingt die Zusammenarbeit gut?
Wir werden als Gesamthilfesystem, das unter dem Namen Wohnhilfen Oberberg läuft, als die Experten für Wohnungslosigkeit und Existenzsicherung wahrgenommen. Insofern gibt es auch eine enge Zusammenarbeit mit unseren Kooperationspartnern, wenn Themen aufkommen wie Mietschulden, Räumungsklage und Wohnungslosigkeit.
Bezahlbarer Wohnraum in den Großstädten ist rar, wie sieht es in der ländlichen Region aus?
Das ist auch hier das ganz große Thema. Es gibt einfach zu wenig Wohnraum, der den Mietgrenzen der Jobcenter und Sozialämter entspricht. Und die Menschen erhalten nun mal nur Sozialleistungen oder haben geringe Einkünfte. Es war vor Corona deutlich einfacher an Arbeit zu kommen, als an bezahlbaren Wohnraum. Es muss wieder verstärkt Wohnraum für Menschen entstehen, die wenig Geld haben. Und dabei sollte möglichst vermieden werden, Ghettos zu schaffen, das bedeutet sozial schwächere Menschen und Besserverdienenden sollten gemeinsam im Sozialraum leben.
Es muss wieder verstärkt Wohnraum für Menschen entstehen, die wenig Geld haben. Und dabei sollte möglichst vermieden werden, Ghettos zu schaffen, das bedeutet sozial schwächere Menschen und Besserverdienenden sollten gemeinsam im Sozialraum leben.
Wilfried Fenner
Können Bürger*innen im OBK aktiv werden?
Wir sind über jeden Hinweis dankbar. Man erkennt wohnungslose Menschen häufig daran, dass sie mehrere Taschen, Rucksäcke oder ein Schlafsack mit sich führen. Auch bei Menschen, die an Hauseingängen oder am Bahnhof oder Bushaltestellen schlafen, sollte man aufmerksam werden. Das Gleiche gilt für Personen, die man regelmäßig antrifft, die immer wieder draußen sitzen und sich den ganzen Tag dort aufhalten. In solchen Fällen kann man in unseren Beratungsbüros in Wipperfürth, Waldbröl und Gummersbach anrufen oder eine Mail schreiben. Wir gleichen dann ab, ob uns die Person schon bekannt ist und prüfen, was wir in dem konkreten Fall machen können.
Sie können aber auch eine Information an die Polizei oder Ordnungsamt geben, damit sie nachschauen, ob alles ok ist. Das ist insbesondere an kalten Tagen und frostigen Nächten sehr wichtig. Es gibt nämlich eine Verpflichtung der Unterbringung, wenn Gefahr für Leib und Leben besteht.
Im Zweifel lieber einmal mehr bei uns anrufen, damit wir in der Lage sind, zu helfen.
Wilfried Fenner
Was mache ich, wenn Hilfen abgelehnt werden?
Im Zweifel lieber einmal mehr bei uns anrufen, damit wir in der Lage sind, zu helfen. Wir schauen regelmäßig, ob es Menschen gesundheitlich gut geht, und ob ihre Entscheidung verantwortbar ist. Gleichzeitig ist es uns wichtig, mit ihnen auch im Gespräch zu bleiben.
Wie sieht es mit Spenden an diese Menschen aus?
Das muss jeder Bürger für sich entscheiden, ob er diese Menschen mit einer Spende unterstützt. Man muss dann aber auch akzeptieren, was sie mit der Geldspende machen. Das kann auch der Kauf von Alkohol sein. Einen Schlafsack nehmen wir immer gerne als Spende an, aber diese müssen wintertauglich sein.
Was können Bürger*innen noch machen?
Wenn Interesse besteht, unsere Arbeit mit Geldspenden zu unterstützen, kann dies über die Stiftung der Diakonie Michaelshoven erfolgen oder auch über den Förderverein Segenborn, der unsere Arbeit vor Ort unterstützt. Auch bei Interesse an ehrenamtlicher Mitarbeit oder Unterstützung unserer Arbeit können Sie sich erst mal an uns wenden.
Beeinflusst die aktuelle Corona-Pandemie ihre Arbeit?
Wir sind weiterhin unterwegs mit der Aufsuchenden Arbeit, wir verteilen Masken an den Personenkreis und wir versorgen die Menschen mit aktuellen Informationen, die teilweise an ihnen vorbeigehen, weil nicht alle die Zugänge zu Medien haben. Wir halten trotz der Hygiene-Auflagen unser Angebot so weit wie möglich offen.
Wir verteilen Masken an den Personenkreis und wir versorgen die Menschen mit aktuellen Informationen, die teilweise an ihnen vorbeigehen, weil nicht alle die Zugänge zu Medien haben.
Wilfried Fenner
Ihr Appell an unsere Gesellschaft?
Menschen, die wohnungslos sind und in sozialen Schwierigkeiten stecken, dürfen nicht stigmatisiert und herablassend behandelt werden. Denn auch hier gilt Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Zudem kann jeder Mensch in so eine Situation kommen, egal wie stabil seine persönliche und wirtschaftliche Lage aktuell ist. Wir sollten alle individuellen Lebensformen respektieren und dahingehend Unterstützung leisten, wo sie dringend gefordert ist.
Jeder Mensch kann in so eine Situation kommen, egal wie stabil seine persönliche und wirtschaftliche Lage aktuell ist. Wir sollten alle individuellen Lebensformen respektieren und dahingehend Unterstützung leisten, wo sie dringend gefordert ist.
Wilfried Fenner
30. Oktober 2020
Super Artikel. Er beschreibt unsere Arbeit exzellent und engagiert! Danke