„Et nützt je nix“- eine Pflegeheimleiterin blickt auf ein Jahr Pandemie zurück
Die Corona-Pandemie hat die Pflegeheime besonders schwer getroffen. Ulrike Roder Lo-Prete ist Einrichtungsleiterin vom Präses-Held-Haus in Wesseling. Sie blickt auf ein Jahr zurück, das für sie geprägt war durch Anspannung, Herausforderungen, aber auch Zuversicht. In ihrer Leitungsfunktion trifft sie Entscheidungen, die aufgrund einer noch nie erlebten Pandemie, eine große Verantwortung mit sich tragen. Doch das Ziel bleibt immer: Bester Schutz für die Bewohner*innen und Mitarbeitenden.
Am 11. März 2020 wurde weltweit die Pandemie durch die WHO ausgerufen. Was waren Ihre ersten Gedanken?
Ich habe letztens die ganze Flut an Emails sortiert, um mir einen Überblick zu verschaffen. Als ich mir die ersten Meldungen aus der Anfangszeit angeschaut habe, merkte ich, wie naiv wir zu der Zeit noch waren. Es waren sehr vorsichtige Ankündigungen seitens der Behörden bezüglich der Beachtung von Hygienemaßnahmen. Als dann der erste Lockdown kam, ging plötzlich gar nichts mehr. Wir waren in der Situation erstmal etwas überfordert: Keine Angehörigen durften mehr ins Haus, es gab keine Kulturangebote, keine Ausflüge, keine Singkreise und Gymnastikgruppen und keine ehrenamtlichen Besuche mehr. Alles war plötzlich weggebrochen und diese Angst vor dem Virus, über den man damals noch relativ wenig wusste, stand im Vordergrund. Meine allergrößte Sorge war, dass wir hier im Haus viele Erkrankte bei unseren Bewohnerinnen und Bewohnern als auch bei den Mitarbeitenden haben werden und auch eine erhöhte Anzahl von Sterbefällen. Ich bin so froh, dass wir bisher verschont geblieben sind. Aber die Anspannung ist weiterhin da.
Haben Sie gedacht, dass ein Jahr später immer noch keine Lockerungen möglich sind?
Nach den ersten drei Wochen war mir relativ schnell klar, dass die Situation länger andauern wird. Und das habe ich auch meinen Mitarbeitenden sagen müssen. Ich bin damals davon ausgegangen, dass wir erst im Frühjahr 2021 oder erst im Sommer einen Impfstoff haben werden. Umso besser ist es, wie schnell die Impfstoffe entwickelt und produziert wurden.
Nach den ersten drei Wochen war mir relativ schnell klar, dass die Situation länger andauern wird.
Ulrike Roder Lo-Prete
Wie haben Sie sich vor einem Jahr in der Einrichtung neu organisieren müssen?
Wir haben Bereiche und auch Teams isoliert, es gab keinen gruppenübergreifenden Dienst mehr und der Nachtdienst war mit drei festen Mitarbeitenden besetzt. Das bedeutete aber auch, dass alle Mehrarbeit geleistet haben und von morgens bis abends vor Ort waren. Jetzt mussten wir mit kreativen Mitteln neue Wege schaffen. So lag beispielsweise der Schwerpunkt beim Sozialen Dienst nicht mehr in der Organisation von Veranstaltungen und Freizeitaktivitäten, sondern sie waren plötzliche wichtige Ansprechpartnerinnen in der Krisenintervention, sie wurden Seelsorgerinnen und Gesprächspartnerinnen und das immer in Einzelsitzungen, weil es keine Gruppenveranstaltungen mehr geben durfte.
Zu Beginn der Pandemie musste ich viel Zeit investieren, um die Inhalte der Verordnungen und Verfügungen zu verstehen. Es war ja alles in Amtsdeutsch verfasst, und ich hatte bis dahin ja auch noch keine Pandemie erlebt. Und nicht nur der Bund schickte uns seine Erlasse und Allgemeinverfügungen, sondern es kamen zusätzlich die vom Land NRW und dann noch die von unserer Kommune im Rhein-Erft-Kreis, die Mitsprache- und Umsetzungsrecht hat. Ich habe es bedauert, dass ich mich nicht in allen Details mit den Kolleginnen und Kollegen aus den Kölner Einrichtungen austauschen konnte, da jede Kommune zusätzlich ihre eigenen Erlasse formuliert hat.
Dann habe ich viel Zeit in die Umsetzung von Hygieneregeln investiert. Natürlich hatten wir ein bestehendes Hygienekonzept, aber durch diesen Virus musste so viel mehr bedacht werden. In unserem Wohngruppenkonzept tragen wir normalerweise Alltagskleidung mit Schutzkitteln. Aber das ging nicht mehr, weil nun alles auf 60 Grad gewaschen werden musste. Ich bin jeden Tag durch die Etagen gelaufen, habe mit den Kollegen und Kolleginnen gesprochen, mich dabei erkundigt, wie es den Bewohnerinnen und Bewohnern geht, viele Informationen transportiert und vieles mehr. Ich habe mich nicht umsonst selbst als Corona-Polizei tituliert, weil ich permanent hingewiesen und kontrolliert habe (lacht).
Was war Ihre Hauptaufgabe zu Beginn der Pandemie?
Ich habe grundlegende Maßnahmen eingeführt, wie das tägliche Wechseln der Schutzkleidung, jeden Mitarbeitenden täglich in Augenschein genommen und Hygiene- und Konzeptveränderungen angepasst. Ich wollte diesen Virus einfach nicht im Haus haben. Ich hatte zu Beginn große Sorge, dass ich eine falsche Entscheidung treffe und etwas nicht beachtet habe. Das hätte ich mir selbst vorgeworfen. Auch wenn ich weiß, dass ich nicht alles kontrollieren kann, liegt die letzte Verantwortung bei mir als Einrichtungsleitung. Ich weiß, dass meine Mitarbeitenden viel ertragen mussten, was mich angeht (lacht). Das hat mich auch ermüdet. Aber ich habe tolle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die das mit mir gemeinsam durchgezogen haben. 12 Monate ohne den Virus im Haus, das ist eine Meisterleistung (klopft auf Holz), da haben die Mitarbeitenden den größten Anteil für gegeben. Wir wollten es mit allen Mitteln verhindern, dass der Virus in unserem Haus ausbricht, das hat uns alle hier verbunden und achtsam sein lassen. Aber natürlich hat uns diese Sorge auch belastet.
12 Monate ohne den Virus im Haus, das ist eine Meisterleistung, da haben die Mitarbeitenden den größten Anteil für gegeben.
Ulrike Roder Lo-Prete
Welche Unterstützung haben Sie erhalten?
Was mir hilft ist der regelmäßige Austausch auf der Unternehmensebene, um sich mit den Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Einrichtungen der Diakonie Michaelshoven über die aktuelle Situation auszutauschen. Aber auch, dass unsere Einkaufsabteilung es geschafft hat, uns immer mit Material zu versorgen, obwohl es ja zu Beginn der Pandemie Lieferengpässe und -verzögerungen gab. Unser Qualitätsmanagement hat uns bei den Konzepten unterstützt, was eine große zeitliche Entlastung war. Das gab mir das Gefühl, nicht alleine zu sein. Auch haben wir durch die Diakonie RWL Unterstützung erhalten, die sich Verfügungen angeschaut und uns Informationen weitergeleitet hat. Und nicht zuletzt war für mich auch der Austausch mit meinem Partner eine große Hilfe, da auch er in der Altenhilfe tätig ist. Er beschäftigt sich viel mit den ganzen Studien und ich bekomme bis heute ein tägliches Update von ihm.
Wie war das für die Bewohnerinnen und Bewohner?
Während des ersten Lockdowns war das strikte Besuchsverbot für alle sehr schwierig. Gerade für unsere orientierten Bewohnerinnen und Bewohner war das furchtbar, sie wurden teilweise depressiv. Der Einsatz von neuen Medien, also der Videochat mit Angehörigen, konnte den Besuch nicht wirklich ersetzen. Auch war und ist es für alle schwierig, dass wir uns nur noch mit Maske durch das Haus bewegen. Gerade für Menschen mit Demenz und schwerhörige Menschen ist Mimik und Stimme sehr wichtig bei der Kommunikation. Das war plötzlich eingeschränkt. Und es war eine Herausforderung, ihnen die Pandemie zu erklären, weil sie nicht sichtbar ist und zu dem Zeitpunkt auch nicht richtig klar war, wie sie sich auswirken wird.
In ihrer Einrichtung sind die Impfungen erfolgt. Fühlen Sie sich nun erleichtert?
Was mich positiv stimmt, ist, dass ein möglicher Ausbruch nun wahrscheinlich eher milde verlaufen könnte. Aber ich kann leider nicht sagen, dass wir nun komplett geschützt sind und sehe daher auch keine Möglichkeit für größere Lockerungen. Denn wir bekommen schon mit, das in anderen Einrichtungen geimpft wurde und der Virus dort trotzdem ausgebrochen ist. Ich habe den Eindruck, wir stehen ein Stück weit vor der dritten Welle, gerade wegen der Mutationen, die nicht einzuordnen sind.
Daher weise ich meine Mitarbeitenden immer wieder darauf hin, dass wir achtsam bleiben müssen, aber ich habe keine Zweifel, dass sie das genauso sehen. Ich glaube, dass wir das ganze Jahr noch damit beschäftigt sein werden. Deshalb kann ich daher aktuell auch noch keine Euphorie verbreiten. Wir müssen weiter durchhalten.
Was mich positiv stimmt, dass ein möglicher Ausbruch eher milde verlaufen könnte.
Ulrike Roder Lo-Prete
Was hat sich erleichtert und was ist mühsam geworden?
Wir haben einige Routinen in unseren Arbeitsabläufen entwickelt und werden aktuell vom DRK bei den Schnelltests und von der Firma Pape bei der Erfassung der Besucher unterstützt. Das entlastet uns alle.
Aber ich bin natürlich kopfmüde, wie ich es nenne. Ich muss die Erlasse weiterhin bewerten und bei kleinen Lockerungen überlegen, welche Gefahren sie mit sich bringen können. Die letzte Entscheidung treffe ich hier nun mal und trage damit auch die Verantwortung gegenüber allen, mit denen ich zu tun habe.
Wie sehen Sie Ihre Aufgabe als Vorgesetzte?
Ich möchte meinen Mitarbeitenden Handlungssicherheit geben, deshalb bin ich auch immer ansprechbar, wenn es Unsicherheiten gibt. Mir ist eine offene Kommunikation und Transparenz sehr wichtig. Genauso übernehme ich aber auch die Verantwortung, wenn etwas schiefläuft. Aber ich bin mit meinem Personal gesegnet, denn ich kann mich auf meine Mitarbeitenden immer verlassen. Ohne funktionierendes Personal wäre das alles nicht möglich, dafür bin ich sehr dankbar.
Ich möchte meinen Mitarbeitenden Handlungssicherheit geben, deshalb bin ich auch immer ansprechbar, wenn es Unsicherheiten gibt.
Ulrike Roder Lo-Prete
Was hätte denn aus Ihrer Sicht besser laufen können?
Für mich gab es keinen Zeitpunkt, wo ich mich völlig desinformiert gefühlt habe. Es war nur eine Flut an Informationen. Aber auch die Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitsamt, WTG-Behörde oder auch im Bezirksamt haben eine solche Pandemie das erste Mal erlebt. Das hat bestimmte Lücken aufgezeigt. Zum Beispiel empfand ich die Vernetzung zwischen den einzelnen Institutionen zu Beginn der Pandemie als nicht optimal. Es wurde sich untereinander nicht abgestimmt, das hat sich jedoch gebessert.
Auch fanden bei uns im Rhein-Erft-Kreis keine regelmäßigen Testungen statt. Wir wurden als Haus bis zum Inkraftsetzung der Testverordnung im Oktober nur zweimal getestet. Anders als in Köln, wo regelmäßige Testungen stattfanden, wurden hier nur Einrichtungen getestet, bei denen es einen Corona-Ausbruch gab. Auch wenn ein PCR-Test nur eine Momentaufnahme ist, gibt er uns aber Sicherheit. Das hat sich jetzt zum Glück geändert, wir testen nun mehr und das ist aus meiner Sicht die bessere Strategie.
Wie tanken Sie persönlich Energie auf?
Ich war schon immer gerne in der Natur und gehe gemeinsam mit meinem Partner spazieren oder auch mal wandern. Das entschleunigt und fordert mich auch körperlich. Ansonsten nähe ich ganz viel, deshalb habe ich auch Karneval sehr vermisst. Normalerweise habe ich mir mehrere Kostüme für die jecken Tage genäht. Und ich bin sehr froh darüber, dass ich mit meinem Partner viel lachen kann. Unsere Grundstimmung ist nicht frustriert, sondern wir halten uns gegenseitig bei guter Laune.
Außerdem habe ich als gebürtige Ostfriesin ein plattdeutsches Mantra von einem Pastor aus Hage: „Et nützt je nix“. Das hilft mir, den Tag mit jeder Herausforderung anzunehmen und weiterzumachen.
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