Warum kulturelle Angebote zu Pandemiezeiten so wichtig sind
Am 28. Februar 2020 begeisterten Mariele Millowitsch und Walter Sittler mit ihrer Lesung das Publikum in der Erzengel-Michael-Kirche. Es war die letzte öffentliche Veranstaltung, die Mareike Carlitscheck in dieser Form organisiert hat. Für die Theologin und Veranstaltungsmanagerin der Kulturreihe in Michaelshoven ging es danach rasant weiter: Sie entwickelte in kurzer Zeit neue Formate, damit kulturelle Angebote und Gottesdienste für externe Gäste und Bewohner:innen weiterhin bestehen bleiben und nicht einfach wegfallen.
Mareike, wie war das für Dich, als Du erfahren hast, dass aufgrund der Pandemie keine Veranstaltungen, wie Konzerte und Gottesdienste, stattfinden können?
Natürlich erschien mir diese Maßnahme völlig undenkbar. In all den Jahren, in denen ich Veranstaltungen für die Diakonie Michaelshoven mache, haben wir erst ein einziges Mal ein Konzert absagen müssen, da es einen Trauerfall im engsten Familienkreis eines Musikers gab. Doch, ehrlich gesagt, war ich erleichtert, als im Frühjahr 2020 endlich klar war, dass keinerlei Veranstaltungen durchgeführt werden dürfen. Mit der behördlichen Entscheidung herrschte wenigstens Klarheit.
Denn bis dahin war es ein ständiges Abwägen gewesen, ob, in welcher Größe und in welchem Format Veranstaltungen noch durchführbar waren – und die Entscheidung und damit auch die Verantwortung lag allein bei der Veranstalterin. Parallel habe ich natürlich – und mache es nach wie vor – das „normale“ KiM-Programm geplant – in der Hoffnung, dass wir bald, mindestens in 2022 wieder vor Ort starten können. Aber ich denke, wir werden da weiterhin flexibel und kreativ sein!
Du hast Dich schnell dazu entschieden, auf andere Formate zu setzen, die online abrufbar waren. Und Du hast für die Bewohner:innen in Einrichtungen Balkonkonzerte organisiert. Wie kam es an? Welche Reaktionen gab es?
Richtig, es war sofort klar, dass wir weiterhin Veranstaltungen machen würden. Als Diakonie ist es unsere Aufgabe, für die Menschen da zu sein – auch mit unseren kulturellen und gottesdienstlichen Angeboten. Gerade in so belastenden Zeiten wie der Corona-Pandemie ist es wichtig, für Ablenkung, Freude und Balsam für die Seele zu sorgen – ohne die Schwere der Krise zu negieren oder zu bagatellisieren.
Gerade Musik erreicht Menschen auch auf tieferen Ebenen – so sorgt sie nicht nur für Kurzweil, sondern hilft, Erfahrungen zu verarbeiten, schenkt neuen Mut und sorgt auch auf Abstand für gemeinsame Erlebnisse. Die Musik, überhaupt die Kunst, ist eben gerade in solchen Zeiten so unfassbar wichtig für die Menschen. So haben wir in den 1 ½ Jahren, die die Pandemie jetzt in Deutschland andauert, bereits über 120 Veranstaltungen unterschiedlichster Formate, online wie vor Ort, durchgeführt.
Die Menschen waren durchweg begeistert von unserem Angebot. Die Freude war ihnen anzumerken – je nach Musik haben sie mitgesungen, geklatscht, getanzt, ihre Augen strahlten. Die Wertschätzung, die wir ihnen durch diese Angebote entgegengebracht haben, haben sie sehr wohl gespürt und zu schätzen gewusst. Ich bin dankbar, dass ich etwas beitragen konnte, sie glücklich zu machen.
Gerade in so belastenden Zeiten wie der Corona-Pandemie ist es wichtig, für Ablenkung, Freude und Balsam für die Seele zu sorgen.
Mareike Carlitscheck
Was ist Deiner Meinung nach der Vorteil und Nachteil von Online-Konzerten?
Trotz Kommentarmöglichkeit fehlt mir bei Online-Formaten der direkte Austausch, die unmittelbare Resonanz – ich denke, etwas, das auch für die Künstler:innen ungewohnt und bedauerlich ist. Das große Plus an Online-Formaten ist natürlich, dass sie auch Menschen eine Teilnahme ermöglichen, die nicht mobil sind oder die nicht vor Ort leben.
Wie fanden die Künstler:innen die Auftritte in geänderter Form? An welche besonderen Momente kannst Du Dich erinnern?
Für die Musiker:innen, die bei unseren „Balkonkonzerten“ aufgetreten sind, waren es immer ganz besondere Erlebnisse. Nicht nur, dass sie ihnen in Pandemie-Zeiten eben doch Auftritte vor echtem Publikum ermöglichten. Die Menschen haben ihnen auch gespiegelt, wie wichtig diese Auftritte für sie waren, wie gut sie ihnen taten. Die Musiker:innen haben es ihnen oft mit extra vielen Zugaben gedankt.
Ich werde nie vergessen, wie hier das gesamte Orchester der KVB im Garten unserer Senioreneinrichtung „Thomas-Müntzer-Haus“ erschienen ist! Ich hatte damit gerechnet, dass sie eine kleine Abordnung schicken würden. Und dann erschienen sie mit 30 Musiker:innen. Einfach, um unseren Senior:innen eine Freude zu machen! Unglaublich!
Die Menschen haben den Musiker:innen auch gespiegelt, wie wichtig diese Auftritte für sie waren, wie gut sie ihnen taten.
Mareike Carlitscheck
Das Jubiläumskonzert mit den Bläck Fööss und Paveiern sollte im August 2020 stattfinden und musste abgesagt werden. Jetzt wurde auch der Nachholtermin im August 2021 abgesagt, obwohl es hätte stattfinden können. Was waren die Gründe?
Ja, das stimmt leider. Das Konzert wäre unter erheblichen Auflagen durchführbar gewesen. So schön unser offener Park hier in Michaelshoven ist, leider hätten wir gerade aus logistischen Gründen diese Auflagen hier nicht umsetzen können: Für eine Kontrolle der Besucherzahl sowie der „3 G“ hätten wir nicht nur den gesamten Park, sondern das gesamte Gelände einzäunen müssen. Dies widerspricht nicht nur dem Charakter unseres Open Air-Konzerts, sondern wäre auch mit erheblichen Kosten verbunden gewesen. Normalerweise besuchen etwa 3.000 bis 4.000 Menschen unser Open Air-Konzert. Diesen zusätzlichen Aufwand hätten wir in diesem Jahr für deutlich weniger Besucher:innen betreiben müssen. Und dann müssen wir uns als Diakonie, deren Kerngeschäft nicht das Veranstalten von Konzerten ist, fragen, ob wir einen solchen, vor allem auch finanziellen Aufwand wirklich rechtfertigen können. Ich freue mich sehr, dass wir sowohl mit den Bläck Fööss als auch mit den Paveiern bereits einen neuen Termin vereinbaren konnten und hoffe, dass wir am 23.6.2022 ausgelassen und fröhlich wie immer zusammen feiern können!
Du bist ja auch Musikerin und hattest vor der Pandemie viele Auftritte mit Deiner Big Band. Was vermisst Du persönlich? Und auf welches Konzert würdest Du gehen wollen, wenn Du Dir eins aussuchen könntest?
Als ich letztes Jahr im September mit ein paar Musiker:innen eine CD-Aufnahme gemacht habe – unter freiem Himmel –, war das Gefühl unbeschreiblich, nach so vielen Monaten endlich wieder gemeinsam Musik zu machen. Glücklicherweise war das dann immer mal wieder im Laufe der Pandemie möglich. Schön war auch, als ich meine Eltern zu einem kleinen Privatkonzert in die Erzengel-Michael-Kirche einladen konnte. Diese kleine „Auftrittsatmosphäre“, die Stille, kurz bevor die Gäste kommen, gemeinsam etwas Schönes teilen – das hatte ich vermisst. Ich glaube, wie sehr wir etwas brauchen und mögen, erfahren wir oft erst, wenn wir es vermissen – und können es, denke ich, in Zukunft als nicht selbstverständliches Geschenk noch mehr wertschätzen.
Obwohl ich ja kleine, „unmittelbare“ Konzerte in etwas intimerer Atmosphäre sehr mag, hatte ich letztes Jahr Karten für Queen in der Lanxess-Arena. Ich habe sie tatsächlich noch nie live erlebt! Leider habe ich die Karten weitergegeben, da ich beim – inzwischen aber auch abgesagten – Nachholtermin nicht gekonnt hätte. Queen live – das muss gigantisch sein!
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