Interview

Die „Woche für das Leben“ Interview mit Andrea Krahé und Kirsten Neveling

Neveling und Krahe Patientenverfügung

Jedes Jahr wird im Frühjahr die ökumenische „Woche für das Leben“ organisiert. In diesem Jahr finden Aktionen der evangelischen und katholischen Kirchen vom 17. bis zum 24. April statt. Das Motto für die Aktionswoche in diesem Jahr greift ein aktuell erneut heftig diskutiertes Thema auf, die Sterbehilfe. Das Motto lautet: „Leben im Sterben“ und beinhaltet die Sorge und die seelsorgliche Begleitung von Menschen, die im Sterben liegen. Andrea Krahé und Kirsten Neveling sind Expertinnen zu den Themen Gesundheitliche Versorgungsplanung und Patientenverfügung.

 

Frau Krahé, Frau Neveling, Sie sind für die „Gesundheitliche Versorgungsplanung“ in der Diakonie Michaelshoven zuständig. Was genau kann ich mir darunter vorstellen – was ist Ihre Aufgabe?

Beide: „Unser Anliegen ist, dass Sie in einer medizinischen Notsituation so behandelt werden, wie Sie das wollen – auch dann, wenn Sie selbst nicht entscheiden können.“

Krahé: […] Wir unterstützen die Bewohnerinnen und Bewohner in den Senioreneinrichtungen dabei, ihre Behandlungswünsche zu formulieren und eine Patientenverfügung zu erstellen. Aber auch Bevollmächtigte können Vorausverfügungen für ihre Lieben treffen, wenn sie dies wünschen. […]

Neveling: Für unsere Bewohner und Bewohnerinnen der Senioren- und Behinderteneinrichtungen, sind die Beratungen durch die gesetzliche Grundlage freiwillig und kostenlos. […]

Krahé: Außerdem bieten Frau Neveling und ich unsere Beratungen jedem sonstigen Interessierten auf Selbstzahlerbasis an, auch Mitarbeitenden. […]

Wie reagieren Sie, wenn Menschen, die Sie beraten, den Wunsch äußern, in ihrer letzten Lebensphase den assistierten Suizid in Anspruch zu nehmen? Zeigen Sie Ihnen Alternativen auf? Welche könnten dies sein?

Krahé: Unser Beruf ist es, genau zuzuhören und die Aussage hinter der Aussage zu ergründen. Wir bewerten daher solche Wünsche nicht. Aber wir fragen sehr kleinteilig nach, was gemeint ist: warum jemand eine bestimmte Empfindung hat oder einen speziellen Wunsch äußert. […] Sind Sie schon einmal gefragt worden, wie gern Sie leben und welche Bedeutung ein langes Leben für Sie hat? Wir tun das!

Neveling: Viele sind bei dieser ersten Frage erstaunt. […] Ich kann es jedem und jeder empfehlen, das mal für sich selbst zu machen. Das ist eine interessante Erfahrung. […] Unsere Aufgabe ist es, sich ein ganzheitliches Bild zu machen, und hierfür braucht man Zeit – mal mehr oder weniger.

Krahé: Wir decken nicht selten Ambivalenzen in den Gesprächen auf und machen diese zum Thema. Wir haben schon mehrfach erlebt, dass Menschen eigentlich „gar nichts mehr“ wollten, durch Nachfragen oder auch Klärung von Missverständnissen zum Ende des Prozesses jedoch gänzlich andere, lebensbejahende Entscheidungen getroffen haben. Das hat nichts mit Überreden zu tun: unsere persönliche Meinung spielt in diesen Gesprächen überhaupt keine Rolle. Ich verstehe uns eher als Moderatorinnen, Mediatorinnen und Wegweiserinnen. […] Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob jemand überhaupt nicht mehr leben will oder so, wie die Situation jetzt ist, nicht mehr leben möchte! […]

Es ist Teil unserer Aufgabe aufzuzeigen, was es an Optionen gibt. Die Palliativmedizin, deren Zielsetzung nicht mehr Heilung, sondern Linderung ist, bietet da einige Möglichkeiten. […]

Inwiefern ist die – immer noch diffuse – rechtliche Lage in Deutschland in Bezug auf das Thema Sterbehilfe für Sie belastend? Würden Sie sich eine klare Rechtsprechung wünschen, die unabhängig der ethischen, medizinischen und theologischen Einwände eindeutig anwendbare „wenn – dann“-Regelungen schafft?

Krahé: Es stimmt mich eher zuversichtlich, wenn es solche Themen zunehmend in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit schaffen. Das wäre vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen. Auch unsere Aufgabe als Gesprächsbegleiterinnen zeigt ja, dass die Bereitschaft besteht, Krankheit, Leid und Tod als Teil des menschlichen Daseins anzunehmen und sich auch als Gesellschaft damit auseinander zu setzen. […]

Die rechtliche Lage belastet mich nicht. Aber es macht mich nachdenklich, wenn sich Menschen aufgrund ihrer jeweiligen Situation mit solchen Gedanken beschweren.

Wichtig ist, transparent und barrierefrei Zugänge zu Beratungsangeboten und konkreten Hilfen zu schaffen. Allein in Köln gibt es so viele tolle Angebote und Initiativen. […] Das Stichwort muss also Netzwerkarbeit sein. Ich bin sehr dankbar, dass Frau Neveling und ich mit unserem Angebot Teil des Projektes „Caring Community Köln“ sind, einer Initiative des Palliativ- und Hospiznetzwerkes Köln e.V., wo es genau um solche Fragen geht.

Neveling: […] Die rechtliche Lage empfinde ich ebenfalls nicht als belastend. Wir haben eine gute Palliativkultur, die noch nicht am Ende angekommen ist. Sie entwickelt sich kontinuierlich weiter. In diesem Bereich kann so unglaublich viel zur Leidenslinderung durchgeführt werden, sodass hoffentlich eine gewisse Form der Lebensqualität in der letzten Phase bleibt. Hiermit meine ich nicht nur Medikamente oder therapeutische Angebote. […] Die zwischenmenschliche Ebene ist in dieser Phase essentiell. […]

Wie und wann sich die gesetzliche Grundlage weiterentwickelt, kann ich nicht sagen. Wir müssen den Blick auf das Hier und Jetzt richten, um diejenigen, die Hilfe brauchen, so gut es geht zu unterstützen. Wir müssen ihnen helfen, ihre Leiden zu lindern, in der Hoffnung, dass sie aufgrund der guten Versorgung niemals in die Lage kommen, den Wunsch nach dem assistierten Suizid zu äußern.

Krahé: Natürlich kann ich Betroffene verstehen, die sich zeitnah klare Signale und Wegmarken der Politik wünschen, damit sie ihren Frieden finden können. Dass das Ganze so lange dauert, zeigt aber, dass ein „Wenn-dann“ in diesem Zusammenhang nicht ohne weiteres möglich ist. Der Mensch ist nun einmal eine Einheit aus Körper, Geist und Seele. Deswegen kann und darf man die Argumentationen der einzelnen Interessengruppen und Professionen auch nicht vom Tisch wischen. […] Ich wünsche mir, dass man gemeinsam an Lösungen arbeitet und den Findungsprozess nicht hinter verschlossenen Türen stattfinden lässt. Das ist für mich Teil der Verantwortung und des würdevollen Umgangs mit unseren Mitmenschen in der letzten Phase ihres Lebens.

Die ungekürzte Fassung des Interviews lesen Sie hier.

Die „Woche für das Leben“- Motto 2021: „Leben im Sterben“ – Sorge und Seelsorge für Sterbende

Jedes Jahr wird im Frühjahr die ökumenische „Woche für das Leben“ organisiert. In diesem Jahr finden Aktionen der evangelischen und katholischen Kirchen vom 17. bis zum 24. April statt. Alle drei Jahre wird diese „Woche für das Leben“ unter ein anderes Motto gestellt, jedes Jahr wechseln die Themenschwerpunkte. Das Motto für die Aktionswoche in diesem Jahr greift ein aktuell erneut heftig diskutiertes Thema auf, die Sterbehilfe. Das Motto lautet: „Leben im Sterben“ und beinhaltet die Sorge und die seelsorgliche Begleitung von Menschen, die im Sterben liegen.

Mehr Informationen finden Sie hier: https://www.woche-fuer-das-leben.de/

Den beiden Kirchen ist es wichtig, einen Beitrag zu leisten, den Wert und die Würde des menschlichen Lebens bewusst zu machen. Sie betonen die Schutzwürdigkeit sowie die Schutzbedürftigkeit menschlichen Lebens in all seinen Phasen.

Das diesjährige Schwerpunktthema greift die Sorge um Schwerkranke und sterbende Menschen durch palliative und seelsorgliche Begleitung auf. Gerade während der Corona-Pandemie ist diese Fürsorge aufgrund verstärkter Hygienemaßnahmen und Kontaktbeschränkungen umso herausfordernder.

Auch in der Diakonie Michaelshoven werden schwerkranke, pflegebedürftige oder sterbende Menschen begleitet. In den kommenden Tagen werden wir anlässlich der „Woche für das Leben“ das Thema „Leben im Sterben“ aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten und Kolleginnen befragen, deren Aufgabe auch die Begleitung Sterbender ist.

Sie benötigen Unterstützung bei der Patientenverfügung? Mehr Informationen und Kontaktmöglichkeiten finden Sie hier. 

 

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